Audienz beim König der Hohen Tauern
SEKTIONSMITGLIEDER MACHTEN ÖSTERREICHS HÖCHSTEM IHRE AUFWARTUNG
"Hallo Ralf, können wir am 9.7. schon um 8:24 Uhr in Lienz mit dem Zug losfahren?" "Fahrzeit mit Auto vom Lucknerhaus zum Bahnhof laut Google 42 Minuten ... sollte eigentlich zu schaffen sein ... und Frühstück gibt es ab 7:00 Uhr. Also vor dem Frühstück alles ins Auto packen und schnell essen." Wir waren mitten in der Planung für unsere Hochtourenwoche Anfang Juli 2023. Wir, das sind Holger, Patrick, Heinz und der Schreiber dieses Berichtes. Nach der grundsätzlichen Entscheidung für einen gemeinsamen Urlaub mit herausfordernden Bergtouren ging die Vorbereitung immer mehr ins Detail. Mehrere interessante und für uns erreichbare Ziele wurden vorgeschlagen, z.B. Watzespitze, Großglockner über den Stüdlgrat oder Ziele in der Schweiz. Am Ende fiel die Entscheidung für den Großglockner wohl auch wegen des Renomees, dass diesem Berg zugeschrieben wird.
Unsere Ausgangslage für diese Tour war 5 Monate vorher nicht wirklich ideal. Alpine Felsklettererfahrung war nur bei dreien vorhanden, es gab größere Lücken bei der Absicherung von Mehrseillängen-Kletterrouten und wenig Übung im Vorstiegsklettern. Um die Lücken zu füllen simulierten wir in voller Montur an einem Samstagnachmittag am Metallzaun des Oembergspielplatzes die HMS-Sicherung in Mehrseillängen Kletterrouten. Außerdem übten wir die Rettung aus Gletscherspalten. Donnerstags im Neoliet fokusierten wir uns auf das Vorstiegsklettern, und wir unternahmen Ausflüge zum Klettergarten Isenberg und Bochumer Bruch.
Wie immer müssen wir Flachlandtiroler eine Wette auf das Wetter eingehen, weil wir nicht so spontan losziehen können wie die Einheimischen in den Bergen. Und Anfang Juli ist das Wetter in der Regel noch nicht so stabil in den Ostalpen. Aber dafür liegt noch Schnee auf den Gletschern; das erleichtert das Begehen der steileren Passagen und schneebedeckte Gletscher sehen einfach schöner aus.
Lange Autofahrten innerhalb der Woche wollten wir möglichst vermeiden. Deshalb planten wir am Anfang längere leichte Mehrsellängenklettertouren in den Lienzer Dolomiten (Bild 1) bei der Karlsbader Hütte zur Akklimatisierung und um etwas mehr Routine mit der Seiltechnik zu bekommen (Bild 2).
Danach setzten wir eine erste Hochtour auf den Fuscherkarkopf (3331m) über den Nord-West-Grat (Bild 3) auf das Programm als Übungstour und natürlich zur weiteren Akklimatisierung. Im Aufenthaltsraum des Franz-Joseph-Hauses haben wir am nächsten Morgen noch eine Trockenübung sichern am laufenden Seil mit Rücklaufsperre durchgeführt (Bild 4).
Hin und wieder sollte man auch an die eigenen Reserven denken. Deshalb haben wir vor der Glocknertour noch einen Ruhetag mit Shopping und vorzüglichem Abendessen beim "Kirchenwirt" in dem ausgesprochen schönen Städtchen Lienz eingelegt.
Der Aufstieg zur Stüdlhütte war bei sommerlichen Temperaturen ziemlich lang und schweißtreibend, obwohl es vom Lucknerhaus nur 900 Hm sind. Für Ostalpenverhältnisse haben wir auf der Stüdlhütte ein sehr internationales Publikum angetroffen, insbesondere viele junge Bergsteiger aus osteuropäischen Ländern.
Den Aufenthalt in der modernen Hütte haben wir sehr angenehm und gut organisiert in Erinnerung. Nach dem Frühstück sind wir um 5:20 Uhr aufgebrochen Richtung Stüdlgrat.
Nördlich der Stüdlhütte ging es auf einem etwas erdigen Pfad auf das 250m höher gelegene Teischnitzkees und weiter über den rechten Rand des Gletschers als 4er-Seilschaft (Bild 5) über eine gut ausgetretene Spur zum Einstieg in den Grat auf 3264m. Der Übergang vom Gletscher auf den Fels war eine der wenigen heiklen Kletterstellen, weil der Fels vom Gletscher glattgeschliffen, steil und nass war. Nach dem Übergang haben wir die Steigeisen abgelegt, und zwei 2er-Seilschaften gebildet für die Felskletterei (Bild 9).
Im unteren Teil des Grates sind wir nicht sofort Richtung Gratkante aufgestiegen, sondern bis kurz vor den Frühstücksplatz (3550m) in der linken Flanke über Blockgelände aufgestiegen (Bild 6). Das war nicht die optimale Route und hat uns mindestens eine Stunde Zeit gekostet. Allerdings waren wir auch danach aufgrund der begrenzten Übung in diesem Gelände eher bedächtig unterwegs, was unseren Rückstand weiter anwachsen ließ. Ab dem Frühstücksplatz ( Bild 7) ging es an viel besserem Fels etwas steiler (Bild 8) weitgehend oben auf dem oft breiten Grat bis zum Gipfel. Dieser Bereich des Stüdlgrates hält auch die interessantesten Kletterstellen bereit (Bild 10), und wir sind häufiger zur Standplatzsicherung übergegangen. Überhaupt finden sich oberhalb des Frühstücksplatzes immer genug Bohrhaken und teilweise Taue und Stahlseile.
Sporadisches Donnergrollen aus unterschiedlichen Richtungen sorgte während der letzten 2 Stunden des Aufstiegs für eine gewisse Grundanspannung; glücklicherweise blieb der Himmel am Großglockner bis nachmittags offen und Heinz behielt den Wetterverlauf mit Meteoblue kontinuierlich im Auge. Einmal sondierte Patrick schon das Gelände auf mögliche Unterstellplätze. Aber es blieb halbwegs trocken, bis wir über den Gipfel und wieder in flacherem Gelände waren.
Den Gipfel konnten wir um 16:30 Uhr nach langer Kletterei freudig geniessen, und die Anspannung fiel trotz aufziehendem Nebel und recht viel Schnee komplett ab, auch weil ich den Abstiegsweg vom letzten Jahr noch frisch in Erinnerung hatte. Im Gipfelbereich des Großglockners, auf dem Kleinglockner und in der oberen Hälfte des Glocknerleitls lag reichlich gut begehbarer Schnee. Deshalb haben wir den Abstieg über den Normalweg wieder mit Steigeisen in Angriff genommen.
Bei besseren Wetterverhältnissen ist der Stüdlgrat und erst recht der Normalweg ziemlich überlaufen incl. nerviger Staus an diversen Kletterstellen, aber wir haben während der gesamten Tour andere Bergsteiger nur in größerer Entfernung gesehen, obwohl die Stüdlhütte voll war. Scheinbar haben viele Gäste an diesem Tag den Normalweg über das Ködnitzkees und Adlersruhe gewählt, oder sind unten geblieben.
Unterhalb des Glocknerleitls setzte leider für mehrere Stunden ein penetranter Nieselregen ein, der uns ziemlich durchgeweicht hatte. Erfreulicherweise gibt es im Lucknerhaus einige geniale Trockenschränke gegen feuchte Kleidung.
Die Erzherzog Johann Hütte erreichten wir um 19:00 Uhr. Jetzt war klar, dass wir unser Nachtquartier das Lucknerhaus nicht mehr vor 23:00 Uhr erreichen würden. Netterweise hat der Wirt des Lucknerhauses nach telefonischer Abstimmung die Türe für die Bersteigerlager nicht verriegelt, so dass wir nach seeehr langem Abstieg (1900 Hm) unser komfortables Quartier mit Self Service beziehen konnten.
Nach einer zu kurzen Nacht ging bereits um 6:15 Uhr der Wecker los. Alarmstart, Speedfrühstück am sehr sehr leckeren Hotelbuffet und Aufbruch Richtung Lienz Bahnhof, damit Holger und Patrick ihren Zug Richtung Heimat noch erreichen konnten. Das gelang auch, aber nur, weil der Bahnsteig direkt in den Parkplatz überging, und wir die Kameraden nur wenige Meter neben dem bereits wartenden Zug absetzen konnten.
Text: Ralf Günther
Informationen und Rückfragen: klettern@alpenverein-muelheim.de